beat geloopt. der sammler | |
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beat geloopt
so erfahre ich den raum
partyambiente und sound
sind protektion für meine seele
und zugleich injektion
direkt unter meine haut
der rythmik fette bässe
die chronometer meiner zeit
konstruktiv mein geschlecht umschmeichelnd
der beat geloopt und fein zerhackt
treibt schabernack mit meiner empfindsamkeit
die beatbox in meinem brustkorb
schlägt schneller und schneller
verirrt sich im rythmusgewölbe
sie übt sich in breakbeat
stolpert und fällt hin
ein kollektives zucken durchfährt die menge
allein, die bewegung ist genial
wir werden zu einem sonderbaren wesen
mit nur einer moral und 4000 füssen
ohne furcht vor der stampede
aus grossen poren schwitz ich mir
die verantwortung aus dem leib
sie fällt wie böse schlacke zu boden
kühlt langsam ab in grossen lachen
von bier und schweiss, bis sie endlich erstarrt
was bietet mir die andre welt
die ich selten fühlen kann und leben
und auszuziehn vermag, wie eine alte haut
die pumpende wirklichkeit dieses events
sie scheint mir vertraut und gegenwärtig
der sammler
erstens: er ist alt. und er sammelt dinge, die ihn erinnern an früher und
an jetzt. schubladen voll mit 100 jahren. unsortiert wie seine gedanken
warten sie auf den nächsten tag manchmal gefunden, nie achtlos gelassen
finden sie ihren platz in seiner geschichte und er erzählt, weil sie es
ihm erzählen: wie alles war, früher, von dingen und grenzen, von lügen und
stolz. von einem leben knapp 20 hände alt. die alles verpacken in ordner
und schubladen. wie viele sind noch frei? und er erzählt von grenzen. wie
sie sich verschieben im laufe der zeit! in zwei kriegen. wie sie sich zwischen
und nach zwei kriegen verschieben! wie grenzen dazu da sind, nationen voneinander
zu trennen. wie sie hunger und elend, wie sie krankheiten verursachen.
zweitens:
aber er erzählt auch, wie er seinen besitz einzäunen mußte, zuerst als schutz
vor dieben und tagelöhnern, die unterschlupf suchten. später war es gut,
dass sein besitz umzäunt war, der zaun markierte die rechtmäßigkeit. hier
endet mein land, hier fängt deins an! er erzählt, wie sich grundstücksgrenzen
verschieben, wenn land neu vermessen wird. er erzählt, wie er meter um meter,
zentimeter um zentimeter um sein land kämpfen mußte. anders als im krieg
war das, das kämpfen. aber auch da ging es um existenz. er kämpfte, bis
sie ihm alles abgenommen hatten, sein haus, sein grundstück, seinen zaun.
und hinterher kämpfte er, um es wieder zu bekommen. und er erzählt, dass
sie ihn darin leben lassen, in dem haus, in dem er geboren ist, weil sie
ein schlechtes gewissen haben. sie lassen ihn darin leben, mietfrei, obwohl
es ihm gar nicht mehr gehört! sie haben es ihm abgenommen. er hat dagegen
prozessiert. er hat den prozeß verloren. er lebt jetzt in dem haus: mietfrei
das haus steht robust, doch ist es leicht verkommen. um es herum wuchern
die pflanzen wie lügen. hier wäre der gärtner ein rechtsbeistand.
drittens:
und er erzählt von lügen, wie sie es durch lügen geschafft hatten, sich
sein haus, seinen garten, sein land unter den nagel zu reißen. er erzählt
von verloren gegangenen dokumenten, oder von gestohlenen dokumenten? auf
jeden fall: betrug war dabei, aber auch pech. ein krieg war dabei, der zweite.
und der frieden danach. irgendwo dazwischen ging einiges verloren: geld,
zeit, dokumente. und seitdem sammelt er alles. alles, was aus papier ist.
und bedruckt ist. er sortiert nach dem eingang. er hat aktenordner, in denen
rechnungen, werbung, zeitungen, mahnungen säuberlich nach datum dokumentiert
sind. ein ordner mit der aufschrift: april bis august 1992. und da fällt
mir auf, dass er hunderte von aktenordnern in den regalen hat.und überhaupt:
das ganze haus ist voller: regale. aber auch voller papiere, auf dem boden,
überall. er sei in letzter zeit so vergesslich, und so müde, sagt er. ihm
fällt es oft schwer, das alles zu sortieren. es ist so viel! und daher können
sie ihn jetzt wieder belügen und betrügen. seinen sozialarbeiter behandelt
er, als wäre er ein dieb. neulich erst hat er ihn dabei erwischt, wie er
in der küche etwas ordnung machen wollte. er warf den werberamsch in den
müll. da schrie der alte, sein fauliger geifer spritzte durch die küche:
was er sich einbilde, der herr sozialarbeiter. was er da wegwirft, sind
möglicherweise wichtige dokumente, auf jeden fall aber informationen. die
wirft man nicht einfach weg! erst, nachdem sie geprüft wurden. er sei aber
in letzter zeit so vergesslich, und so schrecklich müde. ihm fällt es schwer,
das alles zu sortieren. es ist so viel! wenn der alte sammler es dann doch
schafft, den dokumentenstapel abzuarbeiten, dann ist er oft: unentschlossen.
er heftet daher: vorsichtshalber alles zusammen in einen leeren aktenordner:
nach datum!
viertens: und er erzählt von stolz. dass er niemals aufgegeben
hat, niemals nachgegeben hat, auch heute nicht. er wird nur schneller müde.
der krieg, der erste, da mußte er in der gefangenschaft die hosen runterlassen.
nicht nur er, auch seine kameraden. die hatten schon frieden geschlossen,
da mußte er immer noch die hosen runterlassen. er hatte sich geweigert,
sie zwangen ihn, dann hat er sich gewehrt. geholfen hat es nichts. da war
es wichtig, seinen stolz zu bewahren. vor sich selbst zu bestehen. haltung
zu zeigen. nicht verückt zu werden. die hatten schon lange frieden geschlossen,
da mußte er immer noch die hosen runterlassen. und überhaupt, was für ein
frieden war das denn? was danach kam, war auch nicht besser. als er wieder
zurück kam, war alles zerbombt. fast. sein haus war eines der wenigen, die
nicht in schutt und asche lagen. aber geplündert war es. es hatte lange
gedauert, bis endlich wieder ordnung herrschte. alles war jedoch nicht mehr
in ordnung zu bringen. die stadt machte ihm seinen besitz streitig, und
ihm fehlten wichtige dokumente, weiß der teufel, wo die hingekommen sind.
jetzt jedenfalls sammelt er alle schriftstücke. wenn er nicht müde ist.
er verdiente nicht schlecht, damals bei der kirche: nach dem krieg. er war
kein mitläufer, aber auch kein rebell. er schlug eine höhere angestelltenlaufbahn
in der kirchenverwaltung ein. er führte ein unauffälliges bürokratenleben.
er raffte alles ersparte und noch mehr zusammen und prozessierte: jahrelang.
wenn er noch geld hätte, sagt er, würde er weiter prozessieren. obwohl er
in allen instanzen verloren hatte. sie haben ihm seinen besitz genommen,
aber nicht seinen stolz. jetzt ist er alt, und er sammelt dinge, die ihn
erinnern: an früher und an jetzt. an dinge und grenzen, lügen und stolz.
fünftens: und die dinge: eigentlich verhält es sich hier umgekehrt. die
dinge in seinem haus. sie erzählen von ihm. das geschirr, das besteck in
seiner küche, das nie mehr richtig sauber wird, das mit flecken übersät
ist wie die hände des alten. die vielen aktenordner in den regalen, die
von tagen, von wochen und monaten, von jahren erzählen, von zeiten, als
es noch keine videorekorder gab, von zeiten, als der regierungswechsel kam.
die davon erzählen, wie sich alles geändert hat, aber doch alles seltsam
gleich geblieben ist. die vielen aktenordner in den regalen, die von zeit
erzählen: sie erzählen seine geschichte. jede ablage im haus, jeder tisch,
jedes stück boden erstickt an dieser geschichte, die noch nicht ganz erzählt
ist. die ein entwurf ist: immer noch: wie sie da liegt. dann sind da noch
ein paar vasen auf der fensterbank: verstaubt, mit welken blumen drin. es
riecht schlecht: in dem haus, in dem er wohnt. die schubladen sind nicht
verschlossen. und keine ist mehr frei.
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